Anschlussprojekte

Prof. Dr. Paul Steinmann
Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Lehrstuhl für Technische Mechanik


Prof. Dr. Ellen Kuhl
Stanford University
Department of Mechanical Engineering

Mechanische Aspekte der Gehirnentwicklung

Die Ursache der Gehirnfaltung von Säugetieren bleibt bis heute unergründet. Fehlbildungen des Gehirns stehen in engem Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie und Autismus. Jüngsten Erkenntnissen zufolge wird die Gehirnfaltung zu einem großen Teil durch mechanische Faktoren beeinflusst. Die mechanische Modellierung des Faltungsprozesses erfordert jedoch die zuverlässige Bestimmung von Materialparametern. Widersprüche sowohl im Bezug auf Materialparameter als auch im Bezug auf die zugrundeliegenden physikalischen Prinzipien der Gehirnfaltung lassen nach wie vor verschiedene Schlussfolgerungen zu. So erstrecken sich Steifigkeitswerte von Gehirnmasse in der Literatur zum Beispiel über mehrere Größenordnungen. Hinzu kommt, dass bisher nur das Verhalten ausgewachsener Gehirne, nicht aber das Verhalten von Gehirnen im Entwicklungsstadium getestet wurde. Durch die gezielte Kombination von numerischer Simulation und Experimenten sollen in diesem Projekt die besagten Unstimmigkeiten beleuchtet werden, um die mechanischen Aspekte der Gehirnentwicklung und damit unter anderem die Herkunft psychischer Störungen besser zu verstehen.

 

Ausgangsprojekt: Multiskalenmodellierung und -simulation von Diffusion mit Kontinuumsmodellen höherer Ordnung

 

Abschlussbericht

Die charakteristisch gefaltete Oberfläche ist ein wichtiges Merkmal des Gehirns höher entwickelter Säugetiere. Die Struktur des Gehirns steht dabei in engem Zusammenhang mit der Hirnfunktion. So ist das Faltungsmuster ein wertvoller Indikator für normale oder abnormale Gehirnentwicklung. Jüngsten Erkenntnissen zufolge wird die Gehirnfaltung zu einem großen Teil durch mechanische Faktoren beeinflusst. Jedoch ließen bisherige Widersprüche, sowohl in Bezug auf Materialparameter als auch in Bezug auf die zugrundeliegenden physikalischen Prinzipien der Gehirnfaltung, verschiedene Schlussfolgerungen zu.

Während der durch BaCaTeC unterstützten, engen Zusammenarbeit zwischen dem Lehrstuhl für Technische Mechanik an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg und dem Living Matter Lab an der Stanford University, gelang es uns, einige dieser Widersprüche aufzuklären und das Materialverhalten von Gehirngewebe umfassend zu charakterisieren. Wir konnten erste Einblicke in die mikrostrukturellen Ursachen des zeit(un-)abhängigen makroskopischen Verhaltens gewinnen [1]. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die elastische, zeitunabhängige Steifigkeit des Gewebes wesentlich von der Interkonnektivität verschiedener Zelltypen, sowie von der Dichte an Kapillaren und damit auch von der Hirnaktivität abhängt [2]. Zwei unterschiedliche Zeitskalen, die einerseits die Viskoelastizität des Gerüsts aus Zellen und extrazellulärer Matrix und andererseits den Fluß der Hirnflüssigkeit innerhalb der Matrix beschreiben, scheinen das zeitabhängige Verhalten des Gewebes zu dominieren [3]. Die Untersuchungen zeigen ebenfalls, dass es sich hierbei nicht um Materialschädigung handelt: die zeitabhängigen Effekte sind vollkommen reversibel [2].

Unseren Ergebnissen zufolge ist der Kortex, die äußere schnell wachsende Schicht unseres Gehirns, im frühen Stadium der Entwicklung steifer als die langsamer wachsenden subkortikalen Regionen. Diese experimentellen Beobachtungen, unterstützt von numerischen Simulationen, stärken die Theorie, dass die Faltung des Gehirns durch mechanische Instabilitäten hervorgerufen wird.

[1] J. Weickenmeier, R. de Rooij, S. Budday, P. Steinmann, T. Ovaert, and E. Kuhl. Brain stiffness increases with myelin content. Acta Biomater., 42:265–272, 2016.

[2] S. Budday, G. Sommer, C. Birkl, C. Langkammer, J. Haybaeck, J. Kohnert, M. Bauer, F. Paulsen, P. Steinmann, E. Kuhl, and G. A. Holzapfel. Mechanical characterization of human brain tissue. Acta Biomater., 48:319–340, 2017.

[3] S. Budday, G. Sommer, J. Haybaeck, P. Steinmann, G. A. Holzapfel, and E. Kuhl. Rheological characterization of human brain tissue. Acta Biomater., 2017.

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